Klarheit und Frische statt Opulenz

MUSIKTAGE Abschlusskonzert in der Bensheimer Stadtkirche St. Georg

(Echo-online.de Archiv-Artikel vom 23.11.2016 von Klaus Roß)

Welche Faszinationskraft große oratorische Werke auch in instrumental reduzierten Versionen entwickeln können, haben die Bensheimer Musiktage 2016 besonders vielfältig bewiesen. Nach Orffs „Carmina Burana“ und Honeggers „König David“ folgte jetzt zum Abschluss Brahms’ „Deutsches Requiem“ in der 1979 entstandenen Fassung von Heinrich Poos. In St. Georg waren unter Leitung des kurzfristig für Christoph Siebert eingesprungenen Bensheimer Regionalkantors Gregor Knop der Kammerchor Cantemus, das Pianistenduo Hilko Dumno/Paul Schäffer sowie Simone Schwark (Sopran) und Björn Bürger (Bariton) in den vokalen Solopartien zu erleben.

Sinne geschärft für kompositorische Details. Bearbeiter Heinrich Poos ist zwar recht wenig bekannt, aber durchaus eine Koryphäe. Seine auf Brahms’ eigener vierhändiger Fassung basierende Requiem-Version soll und kann natürlich nicht mit der sinfonischen Farbenpracht und Ausdrucksgewalt des großen romantischen Orchesters konkurrieren. Dafür erlaubt sie bessere klangliche Transparenz, schärft so die Sinne für kompositorische Details und akzentuiert dabei insbesondere die eher intimen und kammermusikalischen Seiten der Partitur.

Wenn dann noch wie in Bensheim höchst stilbewusste und inspirierte Interpreten dazukommen, weicht das Bedauern über die fehlende Opulenz schnell der Freude über die neu gewonnene Frische dieser Musik. Gregor Knop sorgte mit ebenso passioniertem wie differenziertem Zugriff für einen ungewöhnlich klaren und vitalen Brahms-Sound, der fraglos als stimmige Weiterführung der Arbeit von Christoph Siebert gelten durfte. Schier CD-reife Perfektion bot einmal mehr Sieberts rund 40-köpfiger Kammerchor Cantemus, dessen dynamische und artikulatorische Finessen allein schon den Konzertbesuch wert gewesen wären. An lyrischer Subtilität (Rahmensätze) wie an dramatischer Agilität (Fugenabschnitte) ließ das wunderbar homogen und ausgewogen singende Ensemble absolut nichts zu wünschen übrig.

Fulminantes Stilgefühl demonstrierten auch die Pianisten Hilko Dumno und Paul Schäffer, deren aus reicher Liedpraxis gespeiste Nuancierungskunst beste Klangbalance gewährleistete. Paukist Andreas Hepp (HR-Sinfonieorchester) überzeugte ebenfalls durch unaufdringlich kluge Präsenz. Als eine Art Idealbesetzung erwiesen sich die zwei Vokalsolisten: berückend schön Simone Schwarks Sopranglanz im zentralen Herzstück „Ihr habt nun Traurigkeit“, famos kraftvoll und nobel zugleich Björn Bürgers baritonale Eloquenz in „Herr, lehre doch mich“ und „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis“. Langer Beifall am Ende für knapp 65 Brahms-Minuten, die zu den intensivsten der letzten Jahre zählten.

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