Hessentags-Nachtkonzert

Johannes Brahms hat in seiner Vertonung von Brentanos synästhetischem „Abendständchen“ jenen Zauber der Nacht mit enormer Kunstfertigkeit einzufangen versucht. Über den Sinnesreiz hinaus gewinnt das Stück durch eine Frage-Antwort-Struktur der oft in Dreierblöcken gesetzten Stimmen und durch wogende Triolen an Bewegung. Ähnlich in Struktur und Atmosphäre mutiert Brahms’ „Nachtwache I“ gegen Schluss zu einem einzigen melancholischen Seufzen.

Jenseits von Idyll und Impression hat der Komponist, seinen Dichtern folgend, ein andermal die Nacht als Spiegelbild der Seele geschildert. Vom Trost der „Waldesnacht“ führt eine Linie zum behaglichen „Abendlied“, das gewesenes Unbehagen noch anklingen lässt, und schließlich zum regelrecht verstörenden „Nächtens“: Es ist die pure Pein, die sich im 5/4-Takt zu flackernden Klavierfiguren Bahn bricht.

Der besungene Spuk spielt sich hier im Geist ab, und deswegen ist es mehr als ein Schritt zu Gabriel Faurés „Les Djinns“. Einfallsreich und bis zur Karikatur eines Männerchors übertrieben lässt der Lehrer Claude Debussys die titelgebenden orientalischen Geistergestalten ein Haus buchstäblich auseinandernehmen, bis nichts mehr bleibt als ein Zittern.

Ernster war es Faurés Landsmann Camille Saint-Saëns mit seinem stillen Loblied auf die Stille der Nacht, welcher die Grellheit des Tages unangenehm gegenübergestellt wird. Lange davor hat Jean-Philippe Rameau die Nacht musikalisch regelrecht angebetet; sein Ausruf „Ô nuit“ nimmt es an innerer Ruhe mit der „Water Night“ des 40 Jahre alten US-Komponisten Eric Whitacre auf, der aber erheblich mehr kompositorische Kniffe bemüht: Eben noch bannt er die bilderreiche Sprache in wohligen Moll-Akkorden, dann verdichtet sich die Szenerie zu Cluster genannten Klangballungen. Vom gravitätischen Schreiten durch die Nacht aber lässt das Stück nur zwischendrin kurz ab.

Whitacres 31 Jahre älterer Landsmann Morten Lauridsen hat erst recht auf alles verzichtet, was die Schönheit der Nacht anfechten könnte. Sein „Sure on this shining night“ ist eine fürs Easy Listening geeignete Hymne, und zum hymnischen Tonfall schwingt sich auch Hugo Wolfs „Einklang“ gegen Ende auf. Dem poetisch verbrämten Fingerzeig dieses „geistlichen Lieds“ durch die Nacht auf Gott stellt das Werk Klartext gegenüber, das diesem Konzert den Namen gegeben hat. Der Herr soll es richten, heißt es bei Max Reger, doch sein „Nachtlied“ weist weit über eine zeitlich begrenzte Phase der Ruhe hinaus. Es ist nämlich der Tod, dem sich der Schläfer im Gottvertrauen hingibt.

 

Christian Knatz©